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[–]jungpionier[S] 2 insightful - 1 fun2 insightful - 0 fun3 insightful - 1 fun -  (0 children)

Fall Toufik B. - Wie ein krimineller Marokkaner seit Jahren die Behörden narrt Exklusiv für Abonnenten Diebstähle, Drogendelikte, gefährliche Körperverletzung, jede Menge falsche Identitäten - Toufik B. ist seit Jahren polizeibekannt. Trotzdem wird er nicht abgeschoben. Was läuft da schief? Von Jörg Diehl, Roman Lehberger 01. März 2019

Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie viele Ermittlungsverfahren es gegen Toufik B.* gegeben hat. Lange Zeit war unbekannt, aus welchem Land er stammt und welcher seiner rund 20 Aliasnamen der richtige ist.

Lange Zeit ahnte die für ihn zuständige Be hörde ebenfalls nicht, dass er in halb Europa gelebt und schon einmal einen Asylantrag in Deutschland gestellt hatte. Lange Zeit war er auch untergetaucht. Und noch immer ist nicht klar, wie es weitergeht mit dem Mann, inzwischen eingestuft als "Prüffall islamistischer Terrorismus".

Alles beginnt mit einem Handydiebstahl im Jahr 2017 irgendwo in Nordrhein-Westfalen. Toufik B. ist zusammen mit einem Komplizen auf Beutetour. In einem Nachtklub rempelt er einen Gast an, klaut ihm per "Antanztrick" das Handy. Er wird erwischt, bei einer Überprüfung entpuppt er sich schnell als Profidieb. Er ist nur auf Bewährung frei; seit 2015 ist er bereits achtmal wegen Diebstahl aufgefallen, zudem wegen Drogendelikten und gefährlicher Körperverletzung.

Toufik B. kommt in Untersuchungshaft. Er hat keine Papiere, ebenso wenig einen gültigen Aufenthaltstitel. Der Fall landet bei der zuständigen Ausländerbehörde. Der Sachbearbeiter ist ratlos. Ihm lägen keinerlei Informationen zu B. vor, schreibt der Beamte an das Gefängnis, in dem B. sitzt. Im Ausländerzentralregister, in dem jeder Ausländer in Deutschland erfasst sein müsste, gebe es keinen Eintrag. Dabei ist B. schon lange in Deutschland, das ergibt sich aus den Datenbanken der Polizei, in denen sein Fingerabdruck gespeichert ist.

Bald wird klar: Über die Jahre hat sich B. jede Menge falscher Identitäten zugelegt. Mal änderte er den Vornamen, mal den Nachnamen, mal spielte er mit Geburtsdaten oder mit seiner Staatsangehörigkeit. Zusammengeführt wurden diese Datensätze im Ausländerzentralregister bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Nach einigen Erkundigungen erfährt der Sachbearbeiter, dass es auch im Jahr 2016 schon ein Asylverfahren gegeben hat. Es wurde eingestellt.

Toufik B. wird im Dezember 2017 wegen des Handydiebstahls im Nachtklub zu sechs Monaten Haft verurteilt, danach soll er direkt aus dem Gefängnis abgeschoben werden. Aber wohin?

Seine Staatsangehörigkeit ist nicht klar. Die Behörden halten B. für einen Algerier, das hatte er selbst so erzählt. Einen Nachweis gibt es dafür nicht. Das algerische Konsulat wird eingeschaltet, es soll ein Passersatzdokument ausstellen. Die Behörden organisieren eine Sammelvorführung: Mehrere Nordafrikaner mit unklarer Staatsangehörigkeit treffen auf algerische Beamte. Kosten nur dieses einen Termins laut einer internen Aufstellung: rund 5000 Euro für Flüge, Bahntickets, Dolmetscher, Übernachtung und Bewirtung der algerischen Diplomaten. Plus die Verwaltungskosten, die auf deutscher Seite bei solchen Terminen entstehen.

Zum Ziel führt das im Fall Toufik B. nicht. In einem Protokoll wird vermerkt, B. habe bei dem Termin nur wenig und ausschließlich auf Englisch gesprochen. Eine Einschätzung, ob es sich bei ihm um einen ihrer Staatsbürger handle, können die Algerier erst einmal nicht abgeben.

Anfang März 2018 hat Toufik B. seine Gefängnisstrafe abgesessen. Er ist jetzt verpflichtet, Deutschland innerhalb von sieben Tagen zu verlassen. Doch daraus wird nichts, B. stellt zum zweiten Mal einen Asylantrag. Er lebt nun in einer Einrichtung für Asylbewerber in einem anderen Bundesland. Auch dort beschäftigt er immer wieder Polizisten und Sicherheitspersonal. Diebstahl, Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, Körperverletzung, die Liste seiner Ermittlungsverfahren wächst und wächst. Vorladungen der Behörden lässt er verstreichen. Auch das zweite Asylverfahren wird eingestellt, im Sommer 2018 soll er Deutschland wieder einmal binnen sieben Tagen verlassen.

Inzwischen hat sich offenbar geklärt, was seine Heimat ist. Interpol hat Toufik B. als marokkanischen Staatsbürger identifiziert. Doch als B. aus der Haft entlassen wird, taucht er ab. Kein Mensch weiß, wo er ist. Das heißt, eigentlich hätte man es schon wissen können: Einmal kreuzt er auf dem Gelände seiner Asylunterkunft auf, um sich Busgutscheine für eine Fahrt ins Krankenhaus zu besorgen. Toufik B. ist zu diesem Zeitpunkt zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben. Seine Anwesenheit auf dem Gelände hätte sofort gemeldet werden müssen. Doch wer auch immer ihm die Gutscheine gibt, schaut offenbar nicht genau hin, denn nichts geschieht.

Nach und nach trudeln weitere Erkenntnisse zu Toufik B. ein. Die deutschen Behörden wissen nun, dass er in den vergangenen Jahren auch in Schweden unter verschiedenen Identitäten Asylanträge gestellt hat. 2016 wurde er einmal von Schweden nach Marokko abgeschoben. Aber B. kehrte zurück nach Europa.

Von 2018 an gerät der Marokkaner dann in den Blick des Staats- und Verfassungsschutzes. Es gibt jetzt Hinweise darauf, dass er extremistische Tendenzen hege. So soll B. die Absicht geäußert haben, etwas "Böses" tun zu wollen, das ihn das Leben kosten würde. Toufik B. gilt als psychisch labil, und er hat nichts mehr zu verlieren. Eine gefährliche Kombination.

Im Oktober 2018 nehmen ihn Spezialkräfte der Polizei in den Niederlanden fest. Dort hat er sich wohl, seit er abgetaucht ist, die meiste Zeit aufgehalten. Und auch dort hat er einen Asylantrag gestellt. Da nach den Dublin-Regeln Deutschland für ihn zuständig ist, stimmen die deutschen Behörden zu, ihn zurückzunehmen. Die Überstellung funktioniert reibungslos, Toufik B. sitzt seitdem in Abschiebehaft.

Kürzlich hat er wieder einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Über den muss nun entschieden werden. Das kann einige Wochen lang dauern. Vielleicht wird man Toufik B. vorher freilassen müssen. Wird er dann seine Abschiebung abwarten?

Seine Passersatzpapiere aus Marokko fehlen übrigens auch noch.

* Name geändert.