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Deutsche IS-Kämpfer wollen zurück - "Mama, bitte erzähl mir, wie man mich rauskriegt" Exklusiv für Abonnenten Dutzende deutsche Anhänger des "Islamischen Staats" sitzen in Gefängnissen in Nordsyrien. Unter ihnen sind womöglich Mörder. Wie soll Deutschland mit den Staatsfeinden umgehen? Von Jörg Diehl, Julia Amalia Heyer, Martin Knobbe, Roman Lehberger, Christoph Reuter, Fidelius Schmid, Andreas Wassermann, Wolf Wiedmann-Schmidt 22. Februar 2019

Es geht um Männer wie Bajram G. aus St. Augustin bei Bonn, einen islamistischen Gefährder, der möglicherweise auch ein Mörder ist. "Weißt du, was das Schönste war in meinem Dschihad für Allah?", fragte er über Facebook einen Bekannten – und gab sogleich die Antwort. Er habe drei Feinde niedergeschossen, alle drei "Ungläubige". Dann habe er das Telefon eines Opfers genommen und bei einer Frau aus dessen Kontaktliste angerufen. Ihr habe er gesagt, dass er mit seinem Stiefel auf dem Kopf des Opfers stehe. Die Frau habe geschrien.

Ob es die Gräueltaten wirklich gegeben hat oder G. sich nur wichtig machen wollte, ist unklar. Inzwischen aber klingen die Nachrichten des Islamisten aus dem Rheinland anders.

In Briefen an seine Familie in Deutschland schreibt er: "Ich vermisse euch sehr. Vielleicht wisst ihr, ich bin gefangen?" So steht es in einem Schreiben, das über das Rote Kreuz verschickt wurde, aus einem Haftlager in der Nähe der nordsyrischen Stadt Kamischli. In einem anderen Brief heißt es: "Mama, bitte erzähl mir, wie es euch geht und ob ihr wisst, wie man mich rauskriegt. Was sagen die Behörden? Ich will nur nach Hause. Ich will hier raus."

Bajram G., 25 Jahre alt, deutscher Staatsbürger, Sohn von Einwanderern aus dem Kosovo, war 20 Jahre alt und noch Schüler, als er aus Deutschland verschwand und sich nach Erkenntnissen der Ermittler dem "Islamischen Staat" (IS) anschloss. Er gehört zu den Tausenden Islamisten, die von Europa aus in den Kampf gezogen waren und nun in großer Zahl in Gefängnissen der durch die USA unterstützten Kurdenmiliz YPG sitzen. Aus Kämpfern des "Kalifats" sind Kriegsgefangene geworden.

Die Bundesregierung steht nun vor schwierigen Fragen: Wie geht sie mit diesen Kriegsgefangenen um? Muss sie einen wie Bajram G. nach Deutschland zurückholen? Was würde hier aus ihm? Konkrete Antworten hat sie bislang nicht gefunden.

Hinter den Kulissen wird seit Langem über den Umgang mit den ausländischen IS-Kämpfern diskutiert. Das Ende des IS war in den vergangenen Wochen greifbar, zuletzt verschanzten sich die verbliebenen Krieger auf einer Fläche von weniger als einem Quadratkilometer. Viele ausländische Kämpfer sitzen seit Monaten oder Jahren in Gefängnissen in Nordsyrien und im Irak, bislang meist ohne Aussicht auf eine rasche Rückkehr in ihre Heimat.

Die syrischen Kurden und ihre Verbündeten, die USA, hatten die Europäer in den vergangenen Monaten immer wieder gedrängt, ihre Staatsbürger zurückzunehmen und sie vor Gericht zu stellen. Doch die Europäer spielten bisher auf Zeit.

Deutsche Diplomaten schildern, es sei eine Entscheidung Berlins gewesen, sich nicht übermäßig für die inhaftierten Dschihadisten zu engagieren. "Die Marschrichtung war: Wir müssten eigentlich, aber wir tun es nicht", sagt ein Beamter. Das Wegducken hat nun ein Ende.

Am vergangenen Sonntag setzte US-Präsident Donald Trump das Thema per Twitter mit einem Schlag ganz oben auf die Agenda: "Die Vereinigten Staaten bitten Großbritannien, Frankreich, Deutschland und andere europäische Verbündete, mehr als 800 IS-Kämpfer zurückzunehmen, die wir in Syrien gefangen genommen haben", schrieb Trump. "Sonst sind wir gezwungen, sie freizulassen ..."

Die Bundesregierung wies die Forderung umgehend zurück, nicht nur weil sie die damit verbundene Drohung für dreist hielt. "So einfach, wie man sich das in Amerika vorstellt, ist es sicherlich nicht", sagte Außenminister Heiko Maas (SPD). Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) forderte: "Jeder Einzelfall muss vor Ort geklärt werden, bevor irgendjemand ins Flugzeug gesetzt wird." Und Justizministerin Katarina Barley (SPD) sagte dem SPIEGEL: "Wir müssen sicherstellen, dass sich ehemalige IS-Kämpfer bei uns nicht frei bewegen können. Nicht wenige werden längst per Haftbefehl gesucht. Andere müssen konsequent überwacht werden, sobald sie Deutschland betreten."

Trotz der verbalen Abwehr scheint in Berlin angekommen zu sein: Länger lässt sich das Problem nicht aufschieben. Deutschland braucht für die Frage der IS-Rückkehrer endlich eine klare Haltung und einen Plan.

Anders als Außenminister Maas der Öffentlichkeit vor wenigen Tagen noch weismachen wollte, haben die Sicherheitsbehörden über die meisten gefangenen IS-Anhänger bereits zahlreiche Informationen gesammelt. Ihr Ziel ist es, am Ende genügend Beweise zu haben, damit die Polizei die Islamisten verhaften kann, sollten sie nach Deutschland kommen.

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Die deutschen Ermittler bekommen ihre Informationen von Verbündeten, durch Aussagen geläuterter Terroristen, durch abgehörte Telefonate oder Fotos im Internet – und durch Befragungen des Bundesnachrichtendienstes (BND), der viele Gefangene in Nordsyrien befragt hat.

Mindestens 63 Männer und Frauen, die aus Deutschland in das Kriegsgebiet gezogen waren, befinden sich im kurdischen Gewahrsam in Syrien. 42 von ihnen haben einen deutschen Pass. Gegen 18 der IS-Anhänger liegt bereits ein deutscher Haftbefehl vor, so auch gegen Bajram G., den Gefährder aus dem Rheinland. Mehr als ein Jahr ist es inzwischen her, dass er angeblich bei einem Gefecht mit kurdischen Truppen gefangen genommen wurde. Inzwischen bedaure sein Mandant, nach Syrien gereist zu sein, sagt sein Bonner Anwalt Mutlu Günal: "Er möchte zurück nach Hause und sich einem rechtsstaatlichen Verfahren vor einem deutschen Gericht stellen."

In anderen Fälle aber fehlen den deutschen Strafverfolgern noch klare Belege. Vor allem bei den Frauen dürfte es häufig schwierig sein, ihnen eine Mitgliedschaft beim IS nachzuweisen, auch wenn sie ideologisch oft genauso verblendet gewesen waren wie die Männer. Ein Aufenthalt im Kriegsgebiet allein ist nicht strafbar, so sieht es der Bundesgerichtshof.

Manchmal aber haben die Ermittler Glück und bekommen die Beweise, die sie suchen. Bei Lucas Gläß aus Dortmund beispielsweise fiel ihnen ein Registrierungsbogen des IS in die Hände, ausgefüllt im Juli 2014 von der "Generaldirektion der Grenze" der Terrormiliz. Sein Name war mit "Luks Kalas" nicht ganz richtig notiert. Aber an seiner Bereitschaft zum Dschihad bestand wohl kein Zweifel: "Kämpfer" notierten die IS-Leute; Gläß bestreitet heute, jemals in einen Einsatz gezogen zu sein.

Im Fall von Martin Lemke, einem Schweißer aus Sachsen-Anhalt, sitzen wichtige Zeugen bereits in Deutschland. Er sei ein Scherge des IS-Geheimdienstes gewesen, erzählte ein Rückkehrer aus dem Kriegsgebiet. Ein anderer Zeuge legte der Polizei ein Foto von Lemke in einer schwarzen IS-Uniform vor und behauptete: Der hat meinen Bruder geköpft. Lemke, der wie seine Ehefrau Leonora vor wenigen Tagen festgenommen wurde, bestreitet Mord oder Folter. Er gibt aber zu, Teil des IS-Terrorapparats gewesen zu sein. Weitere Deutsche haben ihre eigenen Gräueltaten in Propagandavideos dokumentiert.

IS-Anhänger von Syrien nach Deutschland zu bringen wäre riskant. Viele sind verroht, manche kampferfahren, andere traumatisiert, womöglich auch die Frauen. Wie sie sich in der westlichen Zivilisation verhalten, ist kaum zu sagen. Sie intensiv zu überwachen, wäre notwendig, bindet viele Beamte und ist teuer. Trotzdem erkennen immer mehr Politiker, dass es kaum eine Alternative gibt.

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"Wir müssen die im Ausland inhaftierten deutschen Dschihadisten zurücknehmen, daran führt kein Weg vorbei", sagt der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU). "Es mag politisch nicht leicht zu vermitteln sein, dass wir Extremisten, die unserem Wertesystem den Kampf angesagt haben, dabei helfen, nach Deutschland zurückzukehren." Doch wenn es sich um deutsche Staatsbürger handele, könne man sich nicht weiter verweigern: "Deswegen ist es klug, wenn wir uns jetzt darauf vorbereiten und sowohl Sicherheitsbehörden als auch Jugend- und Sozialbehörden sensibilisieren."

Der Nahostexperte Guido Steinberg von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik sagt: "Die Kurden und die USA haben viel geleistet im Kampf gegen den IS. Deshalb sollte Deutschland der Bitte nachkommen und die deutschen IS-Anhänger hierherbringen." Auch wenn die Aktion unpopulär sei und bei den anstehenden Landtagswahlen im Osten kaum Stimmen bringen dürfte, sei sie notwendig. "Die Zeit wird knapp", sagt Steinberg.

Die Lage in Nordsyrien ist fragil. Sollten die USA, wie von Trump angekündigt, tatsächlich ihre Truppen abziehen, wäre ungewiss, ob die Kurden die Kontrolle über die IS-Gefangenen gewährleisten könnten. Die Gefahr, dass Kämpfer freikommen, wäre real. Man müsse befürchten, dass sie dann "unkontrolliert nach Europa und Deutschland einreisen, um dort aktiv zu werden", sagt die Grünenpolitikerin und Polizistin Irene Mihalic: "Ein solches Szenario muss dringend verhindert werden."

Die Kurden hatten die Dschihadisten in Syrien zunächst bekämpft, um sich selbst zu schützen. Als sie aber nach ihrem Sieg in der Stadt Kobane 2015 viele Gebiete von der Schreckensherrschaft des IS befreiten, machten sie sich für die USA als Hilfstruppen unentbehrlich. Mit IS-Gefangenen gingen sie anders um als manche Milizen im benachbarten Irak. Diese exekutierten die Extremisten oft nach kurzem Verhör. Die syrischen Kurden aber steckten die Männer ins Gefängnis, Frauen und Kinder erst in abgetrennte Teile von Flüchtlingslagern, seit 2018 in ein Internierungscamp nahe Derik in Nordostsyrien.

Die Kurden dachten, sie täten der Welt einen Gefallen, die Terroristen und ihre Familien festzunehmen. Sie glaubten, damit auch ein kostbares Tauschgut im diplomatischen Ringen um internationale Anerkennung in der Hand zu halten. Tatsächlich aber wollte kaum ein Staat seine Extremisten wiederhaben, im Gegenteil: Bis auf Indonesien, dessen Diplomaten schon im Sommer 2017 zwei Frauen und deren Kinder im Lager von Ain Issa bei Rakka abholten, bemühte sich lange kein Land um seine Staatsbürger.

"Wir haben Tausende im Krieg verloren, auch um diese Menschen gefangen zu nehmen", klagte der Außenminister der kurdischen De-facto-Verwaltung in Syrien, Abel Karim Omar, schon vor Monaten gegenüber dem SPIEGEL. "Jetzt ist Europa, Deutschland in der Pflicht."

Einige ehemalige Anhängerinnen des "Kalifats" sitzen bereits seit bis zu zweieinhalb Jahren in Lagern in der Nähe der türkischen Grenze, nachdem sie dem IS davongerannt waren. Ihre Angehörigen in Deutschland bekamen immer wieder zu hören, man müsse warten, bis die Behörden in der Türkei eine Einreise erlaubten. Doch nichts geschah.

Das Auswärtige Amt verweist darauf, dass man in Syrien derzeit "nicht die normale Betreuung für deutsche Staatsangehörige anbieten" könne, "unabhängig davon, welchen Tatvorwürfen sie sich konfrontiert sehen". Die deutsche Botschaft ist seit Jahren geschlossen. "Das kann für Angehörige sehr frustrierend sein", ändere aber leider nichts an den Tatsachen.

Manche Familien versuchten es deshalb auf eigene Faust.

Die Nachricht, die ihr Leben auf den Kopf stellte, erreichte Josefin Steinhauer kurz vor Weihnachten. "Hallo Mama, ich weiß, das ist jetzt alles viel auf einmal, was jetzt kommt", so begann ihre Tochter Carla ihren Hilferuf aus Syrien in einer WhatsApp-Mitteilung. Mehr als drei Jahre zuvor war die heute 31-Jährige mit ihren drei kleinen Kindern zum IS ausgereist und hatte ihren Ehemann und ihre Mutter in Oberhausen zurückgelassen. Lange war der Kontakt abgebrochen.

Das Haus, in dem sie und ihr neuer Mann – ein IS-Kämpfer – mit den Kindern lebten, sei vor einer Woche bombardiert worden, schrieb Carla. Ihr neunjähriger Sohn sei gestorben, "inschallah", so Gott will, "schnell und schmerzlos". Die Töchter hätten überlebt, jetzt brauche sie dringend Geld zur Flucht und für Medizin.

Josefin Steinhauer wollte ihrer Tochter helfen. Gemeinsam mit Carlas deutschem Ehemann flog sie in die Türkei, während die Tochter versuchte, mit einem Schleuser aus Syrien über die Grenze zu kommen. Doch statt auf türkischem Boden landeten Carla und ihre Kinder im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Der Plan, sie von dort mithilfe des türkischen Geheimdienstes über die Grenze zu bringen, scheiterte.

Stattdessen hausen die Frau und ihre Kinder nun in einem Zeltlager in der syrischen Stadt Asas, in diesem Fall kontrolliert von der Türkei. Dort, nur wenige Kilometer hinter der Grenze, harren sie nun aus, ihr Ehemann vom IS ist von türkischen Einheiten festgenommen worden.

"Ich stand auf türkischer Seite und wusste: Meine beiden Kinder, die überlebt haben, sind so nah", sagt Carlas deutscher Ehemann und Vater der Töchter. "Und ich kann sie trotzdem nicht in den Arm nehmen." Täglich telefoniert er mit seinen sieben- und elfjährigen Töchtern im Camp.

Josefin Steinhauer steht in Kontakt mit der deutschen Botschaft in Ankara. Sie habe unzählige E-Mails geschrieben, sagt die Mutter, "aber es tut sich nichts". Carla und die Töchter müssten dringend raus aus Syrien: "Man muss keine Angst vor ihr haben, sie wird nicht mit einem Sprengstoffgürtel rumlaufen. Sie sagte mir, sie hätte nie gekämpft." Die Staatsanwaltschaft in Duisburg ermittelt gegen die junge Frau wegen Terrorverdacht. Ob es belastbare Erkenntnisse gegen sie gibt, ist fraglich.

Vor wenigen Tagen schrieb Carla aus dem Camp eine E-Mail an die deutsche Botschaft. Ratten kletterten über die Betten, die Kleinen seien krank, klagte sie. Man prüfe Optionen, um eine Ausreise zu ermöglichen, antwortete ein Beamter aus dem Auswärtigen Amt einen Tag später.

Viele EU-Staaten lehnen es aber auch nach der Twitter-Drohung des US-Präsidenten grundsätzlich ab, die europäischen IS-Anhänger rasch zurückzuholen. "Es handelt sich um einige der gefährlichsten Menschen der Welt", verlautete aus dem Umfeld des dänischen Ministerpräsidenten. "Wir sollten sie nicht zurücknehmen."

Auch in Italien hält man nichts davon, sie ins Land zu holen. Großbritannien entzog in dieser Woche sogar einer 19-jährigen IS-Anhängerin die Staatsbürgerschaft, um so ihre Rückkehr zu verhindern. Alexanda Kotey und El Shafee Elsheikh, die Mitglieder einer IS-Gruppe gewesen sein sollen, die westliche Geiseln enthauptete, wurden ebenfalls ausgebürgert – und sollen nun in die USA ausgeliefert werden. In einem beispiellosen Schritt hat Innenminister Sajid Javid den Amerikanern vorab versichert, dass man auf eine Garantie verzichten würde, die Männer nicht hinzurichten; sie bestreiten, Henker des IS gewesen zu sein.

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Auch in Deutschland wird debattiert, ob man IS-Kämpfer ausbürgern sollte, um ihre Rückkehr zu verhindern. Wenn jemand ausschließlich die deutsche Staatsangehörigkeit besitze, sei das nicht möglich, sagt der Göttinger Völkerrechtler Frank Schorkopf. Das Grundgesetz verbiete es, jemanden staatenlos zu machen. Anders sehe es bei Kämpfern mit doppelter Staatsangehörigkeit aus: Ihnen könnte man, bei einer harten Auslegung des Staatsangehörigkeitsgesetzes, den deutschen Pass abnehmen. Schließlich hätten sie mit Deutschland gebrochen und für das "De-facto-Regime" des IS gekämpft.

Ein ähnlicher Plan steht auch im Koalitionsvertrag, die Details aber sind umstritten. "Doppelstaatlern, die an Kampfhandlungen einer Terrormiliz im Ausland beteiligt waren, muss künftig die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt werden können", sagt Justizministerin Barley, in deren Haus seit November ein Gesetzentwurf von Horst Seehofer zur Prüfung liegt. "Klar ist, dass wir verfassungsfeste und rechtsstaatliche Lösungen brauchen."

"Ich stand auf türkischer Seite und wusste: Meine beiden Kinder, die überlebt haben, sind so nah." 

Doch das Gesetz könnte wahrscheinlich nicht rückwirkend gelten, sondern nur für Kämpfer, die sich in Zukunft einer Terrormiliz andienen. Die aktuellen Probleme würde es nicht lösen. Zunehmend setzt sich daher die Ansicht durch, dass sich Deutschland um die Inhaftierten in Nordsyrien kümmern muss. "Politisch will niemand IS-Anhänger zurücknehmen, rechtlich besteht bei deutschen Staatsangehörigen jedoch die Verpflichtung", sagt der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD). "Wir verlangen die Rücknahme von anderen Staaten ja auch, wenn wir ihre Staatsangehörigen abschieben." Mögliche Täter müssten "in einem ordentlichen Gerichtsverfahren" verurteilt werden, und nicht "in einem exterritorialen Gefangenenlager wie Guantanamo".

In der Bundesregierung werden bereits Möglichkeiten durchgespielt, wie die IS-Anhänger nach Deutschland verfrachtet werden könnten. Nicht in einer Sammelabschiebung, sondern nach und nach, ähnlich wie es die Franzosen erwägen. Lange war die Position in Paris, dass französische Dschihadisten am besten vor Ort der Prozess gemacht werden solle. Nun aber könnten mithilfe der Amerikaner rund 50 erwachsene IS-Anhänger samt ihrer Kinder in kleinen Gruppen ausgeflogen werden. Dem drohenden Chaos nach einem möglichen US-Abzug aus Syrien scheint Frankreich die Kontrolle zu Hause vorzuziehen.

Aus deutscher Sicht ideal wäre, man könnte die Gefangenen über die irakische Grenze nach Arbil eskortieren. Dort könnten sie im deutschen Konsulat noch von deutschen Polizisten vernommen werden. Die Befragungen des BND reichen für die Justiz in Deutschland nicht aus. In einem Strafverfahren gelten strenge Regeln, angefangen mit der Belehrung, dass Beschuldigte sich nicht selber belasten müssen.

Möglich wäre ein Transport über den Irak aber nur, wenn die Zentralregierung in Bagdad mitmacht. Und darauf verzichtet, die ausländischen Kämpfer selbst vor Gericht zu stellen, wo sie dann womöglich zum Tode verurteilt werden.

Der Vater von Dirk P. aus Stuttgart drängt schon seit vielen Monaten darauf, dass sein Sohn nach Deutschland überstellt wird. Seinen Frust kann er schlecht verbergen, die deutschen Beamten nennt er "Schnarchnasen". Der frühere Fotojournalist versteht bis heute nicht, wie sein Sohn ins Gebiet des IS reisen konnte, für ihn sind das "gehirnamputierte Vollidioten". Er weiß, dass sein Sohn die Situation selbst verschuldet hat. Trotzdem versucht er alles, um ihn nach Deutschland zu bringen: "Er bleibt unser Sohn."

Was genau Dirk P. beim IS gemacht hat, ist unklar. Reportern erzählte der gelernte Orthopädie-Schuhmacher, er habe nicht gekämpft, sondern Prothesen für Verletzte hergestellt. Die Kurden glauben dagegen, dass er auch an Gräueltaten beteiligt war.

Sein Vater hat sich prominente Hilfe geholt, die frühere SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin. Sie ist überzeugt, dass es möglich wäre, Dirk P. nach Deutschland zu bringen. Auch für die deutsche Justiz wäre sein Fall zu bewältigen, sagt sie.

Eine Sache macht seinen Fall aber noch komplizierter: Dirk P. hat im Kriegsgebiet geheiratet und ein Kind gezeugt. Was aus dem Jungen und der Mutter würde, wenn er nach Deutschland überstellt wird, ist ungewiss. Die Frau ist Syrerin, die Ehe nach deutschem Recht ungültig.