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[–]digitalfrost[S] 7 insightful - 1 fun7 insightful - 0 fun8 insightful - 1 fun -  (1 child)

WELT: Die Krise ist keine Krise mehr, sondern sie ist Normalität.

Grünewald: Wenn man Gefahren auslagert, sieht man nicht die wirklichen Missstände im eigenen Land. Wir haben ein enormes Wertschätzungsdefizit.

WELT: Sie sprechen von fehlender Solidarität. Wie kann das sein, wenn die Hälfte der jährlichen Staatsausgaben in die Sozialpolitik fließen?

Grünewald: Das ist eine Ablasshandlung aus schlechtem Gewissen. Die finanzielle Alimentierung ersetzt nicht das, was man als Wertschätzung und Gemeinsinn erfahren will. Da ist in Deutschland etwas verloren gegangen. Nach dem Krieg wollten wir in die Weltgemeinschaft zurück, dann wollten wir ökonomisch prosperieren, in den 70ern wollten wir liberaler werden, dann in den 80ern vereint sein. Was aber wollen wir jetzt sein, wo wollen wir hin?

Was die Menschen erleben, ist eine Art Zweiklassengesellschaft, in der der bodenständig lebende Mensch das Gefühl hat, er werde nicht anerkannt, weil er noch Fleisch auf den Grill hievt, Süßspeisen verzehrt, Alkohol trinkt, Diesel fährt und nur den Hauptschulabschluss hat. Das Gefühl besagt: Ich bin der Ungute, und die Eliten tun, als müssten sie nichts ändern, sondern seien per se „richtig“. Da kann kein gemeinsamer Aufbruchsgeist entstehen, wenn die Last der Verwandlung nur dem Sündenbock auferlegt wird.

WELT: Das würde auch erklären, warum die Volksparteien keine Bindungskraft mehr entwickeln.

Grünewald: Das Wertschätzungsproblem erleben wir auf vielen Ebenen. Wer sein hart erarbeitetes Geld anlegt, wird durch den Negativzins auch noch bestraft. Ein Riesenproblem ist zudem das Wohnen in den Großstädten. Das ist existenziell. Viele fragen bereits: Habe ich überhaupt noch ein Bleiberecht? Bin ich willkommen? Das ist eine Erfahrung, als sei man Flüchtling im eigenen Land. Da ist viel sozialer Sprengstoff drin, denn das ist eine enorme Kränkung.

WELT: Es gibt keine Ideen, nicht einmal eine Sprache, die Gesellschaft und Politik verbindet. Nichts ist mehr sicher, nicht die Rente, nicht die Wohnung, nicht der Job.

Grünewald: Mit der Wiedervereinigung dachte man, alles sei in Butter und eine coole Gleichgültigkeit entstand. Wir dachten, wir könnten ein spaßbewegtes, widerspruchsfreies und leichtes Leben führen, ohne Religionen, ohne Ideologie.

Dazu brauchte man nur eine Gestalt, die uns versorgte und nach dem rechten sah. Das war erst Kohl und dann Merkel. Mit ihnen haben die Menschen ein Stillhalteabkommen geschlossen. Aus der coolen Gleichgültigkeit ist heute eine entfesselte Beliebigkeit geworden. Wir wissen nicht mehr, was richtig oder falsch ist. Der Standpunkt ist erodiert. Der innere Kompass ist verloren gegangen.

WELT: Was kommt nach diesem Debakel.

Grünewald: Es gibt zwei Wege. Wir reduzieren radikal die Komplexität, lassen Lügen und Heilsideen zu und konfektionieren so die Welt. Trump wirkt authentisch, weil er mit Leidenschaft lügt, und das ist sexyer als jede Wahrheit, denn die ist oft komplex und langatmig. So wird der Totemismus wiederkehren und die Stammesgesellschaft. Was die AfD in ihrer Retrosehnsucht propagiert oder Houellebecq in der „Unterwerfung“ thematisiert. Es ist das schlichte klare Bild: Der Mann kann wieder dominieren, die Vielehe ist erlaubt, die Frauen sind weg aus der Arbeitswelt. Das wäre eine archaische Form der Orientierung, aber es wäre der Verlust unserer Kultur.

Der andere Weg ist verdammt anstrengend. Das Paradoxe des Streites ist ja, dass er zwar mühsam und schmerzlich ist, aber auch eine Form der Erkenntnis und der Befriedung ist. Ich lerne die Perspektive des anderen kennen. Ich kann sie partiell annehmen. Wo etwas nur entschieden wird, exekutiv durchgewunken, „alternativlos“ sein soll wie das Ende des Wehrdienstes, der Ausstieg aus der Atomenergie und die Homoehe, hätte ich mir eine monatelange gesellschaftliche Debatte gewünscht. Danach hätten viel mehr Menschen mit diesen Themen ihren Frieden gefunden.

WELT: Ist das nicht ein Widerspruch zu Ihrer vorherigen Aussage, die Gesellschaft habe sich auf die Politik verlassen?

Grünewald: Nein, das Ergebnis dieses Stillhalteabkommens ist, das sehen wir heute, dass wir in eine seelische Zerrissenheit geraten sind. Der Streit hat eine verbindende Kraft, er ist ein Lebenselixier.

WELT: Hat die Digitalisierung, also eine völlig neue Form der Kommunikation und Wahrnehmung, diese Prozesse beschleunigt? Sie sagen, Leben würde zum Tagtraum, das Handy sei ein magischer Zeigefinger, der Maßstab für alles verschiebe sich. Mit Wischen schaffen wir eine neue Welt?

Grünewald: Das große Problem ist die rauschhafte Vereinfachung des Alltags. Wir haben dieses zusätzliche Körperteil, das als Szepter der Macht fungiert. Wir machen alles im Handstreich, Transaktionen tätigen, Flüge buchen, Partner per Tinder suchen, was früher lange dauerte und anstrengend war. Dann wächst der Anspruch, dass das ganze Leben so einfach sein sollte. Flüchtlinge weg, Krankheit weg, alle Probleme – wegwischen.

In Wirklichkeit werden die Flughäfen oder Bahnhöfe nicht fertig, man steht im Stau, Gesetzesvorhaben dauern Ewigkeiten, der Partner versteht einen nicht, die Kinder tanzen einem auf der Nase rum. Und immer noch sind da die Chefs, die uns fordern. Wir kippen ständig aus der digitalen Allmacht in die analoge Ohnmacht. Das wird nicht als natürliches, alltägliches Leben begriffen, sondern als persönliche Ohnmacht, die in Wut verwandelt wird.

WELT: Zweckpessimismus ist dann vielleicht besser als Fatalismus und Wut?

Grünewald: In Amerika gibt es Anzeichen, dass die Stämme nicht mehr miteinander sprechen. Das wäre verheerend. Diese fundamentalistischen Entwicklungen regulieren sich nicht mehr von selbst. Sie münden in Krieg und Selbstzerstörung. Das haben wir alles in Deutschland schon erlebt. Wenn der digitale Größenwahn unseren Alltag durchdringt, gerate wir in schwere Wasser.

WELT: Wir geraten jetzt erst mal in eine Nach-Merkel-Zeit. Was kommt dann?

Grünewald: Der Fehler der Grünen war lange, den Kampf für die Natur mit einem Kampf gegen die menschliche Natur zu verbinden. Dadurch hatten sie den Nimbus der Verbotspartei. Die Menschen fühlten sich von ihnen nicht verstanden. Ihr Kampf für die Natur ist beleumundet worden durch das Klima, den letzten Sommer, durch die Jugend.

Die Grünen haben aber auch menschliche Nähe und Bodenständigkeit durch ihr Führungspersonal erreicht. Man glaubt Habeck, dass er sein Kotelett grillt. Er ist ein Mensch. In den Anfangsjahren waren die Grünen schon einmal so lebensfroh, mit Sonnenblumen, Farben, Turnschuhen, jungen Frauen. Doch dann rutschten sie in die Askese ab, die das Leben nicht liebte.

WELT: Ist die Naturfrage wirklich das die Menschen aller Lager und Alter verbindende Thema?

Grünewald: Eine Gesellschaft braucht gemeinsame Visionen. Verbinden kann manchmal auch eine gemeinsame Angst. Wenn dadurch Innovation entsteht, wenn wir zusammenrücken, ist das gut.

[–]pimmelmafia 2 insightful - 1 fun2 insightful - 0 fun3 insightful - 1 fun -  (0 children)

Es gibt zwei Wege. Wir reduzieren radikal die Komplexität, lassen Lügen und Heilsideen zu und konfektionieren so die Welt. Trump wirkt authentisch, weil er mit Leidenschaft lügt, und das ist sexyer als jede Wahrheit, denn die ist oft komplex und langatmig. So wird der Totemismus wiederkehren und die Stammesgesellschaft. Was die AfD in ihrer Retrosehnsucht propagiert oder Houellebecq in der „Unterwerfung“ thematisiert. Es ist das schlichte klare Bild: Der Mann kann wieder dominieren, die Vielehe ist erlaubt, die Frauen sind weg aus der Arbeitswelt. Das wäre eine archaische Form der Orientierung, aber es wäre der Verlust unserer Kultur.

Haha, mal eben Trump, AfD, Vielehe und Arbeitsverbot für Frauen in den gleichen Absatz gepackt, damit der Eindruck entsteht die wollten das. Was für ein Wixxer. Typisch jüdisches Manipulationsgelaber.