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[–]digitalfrost[S] 8 insightful - 1 fun8 insightful - 0 fun9 insightful - 1 fun -  (2 children)

Psychologe Stephan Grünewald führt Tiefenanalysen mit deutschen Bürgern über die Seelenlage der Nation durch. Seine Diagnose: Die deutsche Welt ist schon lange nicht mehr in Ordnung. Er sieht ein aufgewühltes Land.

WELT: Wenn der Psychologe redet, dann geht es meist um Pathologien. Was ist zum Beispiel eine tiefenpsychologische Frage aus Ihrem Repertoire?

Stephan Grünewald: Die intensiven Gespräche, die wir führen mit 50 oder 60 Probanden, laufen ab wie beim Psychoanalytiker. Die Leute liegen sinnbildlich auf der Couch. Wir stellen meist nur eine Frage: Was fällt Ihnen zu Merkel ein oder zum grünen Frosch? Alles weitere ergibt sich aus einem sich intensivierenden Dialog.

WELT: Und wann haben Sie zuletzt über Angela Merkel gefragt?

Grünewald: Vor den letzten Bundestagswahlen haben wir das gemacht. Wir waren dabei mehrfach näher am Endergebnis als die Demoskopen, weil wir erkannt haben, dass viele an Merkel festhalten werden, weil sie als letzte Raubtierdompteuse gilt. Sie kann es mit Erdogan, Trump und Putin aufnehmen. Wenn wir diese Frau vom Hof jagten, dann stünden wir allein, dachten viele.

WELT: Tja, jetzt ist Trump der Stabilitätsfaktor: Merkel wankt, Putin auch etwas, Erdogan offensichtlich …

Grünewald: Trump ist psychologisch interessant, weil von ihm eine Angstfaszination ausgeht. Medial wird oft nur die Angstseite präsentiert, das Rüde, die Gemeinheit, Unbeherrschtheit, die kindische Naivität. Aber diese Züge sind auch faszinierend, nicht nur für ältere Männer. Deren Orientierungslosigkeit ist evident. Wir haben in den letzten Jahrzehnten eine Ent- und Umwertung des Männlichen erlebt, doch der brave und selbstreflektierte Frauenversteher mit dem man sich nicht auseinandersetzen kann, wird auch von den Frauen nicht geliebt.

WELT: Der geläuterte Mann ist Symptom der Krise?

Grünewald: Es geht allgemein, auch in der Politik, um die Unfähigkeit, eigene Standpunkte zu beziehen und dann dafür zu streiten und gegen Widerstände etwas auszuhandeln. Was für einen verbreiteten Typus Mann, den ich Schoßhund nenne, die Partnerin, ist für den Politiker die Demoskopie. Da entsteht eine brave Folgsamkeit und breiige Beliebigkeit. Trump zeigt frustrierten Männern, es könnte auch anders gehen. Das Herrische triumphiert. Und so kommt es, dass die unzähligen Skandale ihm nicht schaden, sondern ihm sogar nutzen.

WELT: Nun sagt man Gesellschaften wie der Deutschen vieles nach: Sie sei naiv, sehnsüchtig nach Harmonie, ängstlich und nicht krisenfest. Was hat sich geändert, dass Sie von „aufgewühlt“ sprechen? Was ist das für eine melodramatische Kategorie?

Grünewald: Wir merken eine Gereiztheit, eine Unduldsamkeit nicht nur in den sozialen Netzwerken, sondern auch im Straßenverkehr. Spürbar ist auch eine zunehmende Zerrissenheit. Und das obwohl Deutschland im Vergleich zu anderen ein relativ stabiles Land mit niedriger Arbeitslosigkeit, prosperierender Wirtschaft und gutem Gesundheitssystem ist.

Man fühlt sich zwar sicher, aber Flüchtlingskrise, Islamismus, Globalisierung, Digitalisierung sind zugleich da und spürbar. Noch schiebt man alles weg wie in eine Bad Bank. Und doch ahnt man, dass die Zukunft nicht mehr so rosig wird. Am liebsten würde man sich in einer permanenten Gegenwart verbunkern.

WELT: Gegenrede: Diese Probleme hat doch jede andere Gesellschaft auch. Wir, auf unserem Niveau, müssten das doch besser hinbekommen! Warum sind wir so verzagt?

Grünewald: Weil es uns vergleichsweise gut geht. Zu einer Veränderung kommt es nur im Leidensdruck. Solche Prozesse sind immer anstrengend. Die Menschen spüren, dass die Welt im Umbruch ist, aber die Deutschen hoffen, dass sie ein paar Jahre die Zeit anhalten können. Merkels Raute war das Sinnbild dieser Stabilität. Dadurch stauen sich aber auch unsere Gestaltungsenergien. Es gibt keine Pionierstimmung. Das ist der Fluch des Paradieses. Das Wort „Notwendigkeit“ verweist darauf, dass die Wendigkeit aus der Not kommt.

[–]digitalfrost[S] 7 insightful - 1 fun7 insightful - 0 fun8 insightful - 1 fun -  (1 child)

WELT: Die Krise ist keine Krise mehr, sondern sie ist Normalität.

Grünewald: Wenn man Gefahren auslagert, sieht man nicht die wirklichen Missstände im eigenen Land. Wir haben ein enormes Wertschätzungsdefizit.

WELT: Sie sprechen von fehlender Solidarität. Wie kann das sein, wenn die Hälfte der jährlichen Staatsausgaben in die Sozialpolitik fließen?

Grünewald: Das ist eine Ablasshandlung aus schlechtem Gewissen. Die finanzielle Alimentierung ersetzt nicht das, was man als Wertschätzung und Gemeinsinn erfahren will. Da ist in Deutschland etwas verloren gegangen. Nach dem Krieg wollten wir in die Weltgemeinschaft zurück, dann wollten wir ökonomisch prosperieren, in den 70ern wollten wir liberaler werden, dann in den 80ern vereint sein. Was aber wollen wir jetzt sein, wo wollen wir hin?

Was die Menschen erleben, ist eine Art Zweiklassengesellschaft, in der der bodenständig lebende Mensch das Gefühl hat, er werde nicht anerkannt, weil er noch Fleisch auf den Grill hievt, Süßspeisen verzehrt, Alkohol trinkt, Diesel fährt und nur den Hauptschulabschluss hat. Das Gefühl besagt: Ich bin der Ungute, und die Eliten tun, als müssten sie nichts ändern, sondern seien per se „richtig“. Da kann kein gemeinsamer Aufbruchsgeist entstehen, wenn die Last der Verwandlung nur dem Sündenbock auferlegt wird.

WELT: Das würde auch erklären, warum die Volksparteien keine Bindungskraft mehr entwickeln.

Grünewald: Das Wertschätzungsproblem erleben wir auf vielen Ebenen. Wer sein hart erarbeitetes Geld anlegt, wird durch den Negativzins auch noch bestraft. Ein Riesenproblem ist zudem das Wohnen in den Großstädten. Das ist existenziell. Viele fragen bereits: Habe ich überhaupt noch ein Bleiberecht? Bin ich willkommen? Das ist eine Erfahrung, als sei man Flüchtling im eigenen Land. Da ist viel sozialer Sprengstoff drin, denn das ist eine enorme Kränkung.

WELT: Es gibt keine Ideen, nicht einmal eine Sprache, die Gesellschaft und Politik verbindet. Nichts ist mehr sicher, nicht die Rente, nicht die Wohnung, nicht der Job.

Grünewald: Mit der Wiedervereinigung dachte man, alles sei in Butter und eine coole Gleichgültigkeit entstand. Wir dachten, wir könnten ein spaßbewegtes, widerspruchsfreies und leichtes Leben führen, ohne Religionen, ohne Ideologie.

Dazu brauchte man nur eine Gestalt, die uns versorgte und nach dem rechten sah. Das war erst Kohl und dann Merkel. Mit ihnen haben die Menschen ein Stillhalteabkommen geschlossen. Aus der coolen Gleichgültigkeit ist heute eine entfesselte Beliebigkeit geworden. Wir wissen nicht mehr, was richtig oder falsch ist. Der Standpunkt ist erodiert. Der innere Kompass ist verloren gegangen.

WELT: Was kommt nach diesem Debakel.

Grünewald: Es gibt zwei Wege. Wir reduzieren radikal die Komplexität, lassen Lügen und Heilsideen zu und konfektionieren so die Welt. Trump wirkt authentisch, weil er mit Leidenschaft lügt, und das ist sexyer als jede Wahrheit, denn die ist oft komplex und langatmig. So wird der Totemismus wiederkehren und die Stammesgesellschaft. Was die AfD in ihrer Retrosehnsucht propagiert oder Houellebecq in der „Unterwerfung“ thematisiert. Es ist das schlichte klare Bild: Der Mann kann wieder dominieren, die Vielehe ist erlaubt, die Frauen sind weg aus der Arbeitswelt. Das wäre eine archaische Form der Orientierung, aber es wäre der Verlust unserer Kultur.

Der andere Weg ist verdammt anstrengend. Das Paradoxe des Streites ist ja, dass er zwar mühsam und schmerzlich ist, aber auch eine Form der Erkenntnis und der Befriedung ist. Ich lerne die Perspektive des anderen kennen. Ich kann sie partiell annehmen. Wo etwas nur entschieden wird, exekutiv durchgewunken, „alternativlos“ sein soll wie das Ende des Wehrdienstes, der Ausstieg aus der Atomenergie und die Homoehe, hätte ich mir eine monatelange gesellschaftliche Debatte gewünscht. Danach hätten viel mehr Menschen mit diesen Themen ihren Frieden gefunden.

WELT: Ist das nicht ein Widerspruch zu Ihrer vorherigen Aussage, die Gesellschaft habe sich auf die Politik verlassen?

Grünewald: Nein, das Ergebnis dieses Stillhalteabkommens ist, das sehen wir heute, dass wir in eine seelische Zerrissenheit geraten sind. Der Streit hat eine verbindende Kraft, er ist ein Lebenselixier.

WELT: Hat die Digitalisierung, also eine völlig neue Form der Kommunikation und Wahrnehmung, diese Prozesse beschleunigt? Sie sagen, Leben würde zum Tagtraum, das Handy sei ein magischer Zeigefinger, der Maßstab für alles verschiebe sich. Mit Wischen schaffen wir eine neue Welt?

Grünewald: Das große Problem ist die rauschhafte Vereinfachung des Alltags. Wir haben dieses zusätzliche Körperteil, das als Szepter der Macht fungiert. Wir machen alles im Handstreich, Transaktionen tätigen, Flüge buchen, Partner per Tinder suchen, was früher lange dauerte und anstrengend war. Dann wächst der Anspruch, dass das ganze Leben so einfach sein sollte. Flüchtlinge weg, Krankheit weg, alle Probleme – wegwischen.

In Wirklichkeit werden die Flughäfen oder Bahnhöfe nicht fertig, man steht im Stau, Gesetzesvorhaben dauern Ewigkeiten, der Partner versteht einen nicht, die Kinder tanzen einem auf der Nase rum. Und immer noch sind da die Chefs, die uns fordern. Wir kippen ständig aus der digitalen Allmacht in die analoge Ohnmacht. Das wird nicht als natürliches, alltägliches Leben begriffen, sondern als persönliche Ohnmacht, die in Wut verwandelt wird.

WELT: Zweckpessimismus ist dann vielleicht besser als Fatalismus und Wut?

Grünewald: In Amerika gibt es Anzeichen, dass die Stämme nicht mehr miteinander sprechen. Das wäre verheerend. Diese fundamentalistischen Entwicklungen regulieren sich nicht mehr von selbst. Sie münden in Krieg und Selbstzerstörung. Das haben wir alles in Deutschland schon erlebt. Wenn der digitale Größenwahn unseren Alltag durchdringt, gerate wir in schwere Wasser.

WELT: Wir geraten jetzt erst mal in eine Nach-Merkel-Zeit. Was kommt dann?

Grünewald: Der Fehler der Grünen war lange, den Kampf für die Natur mit einem Kampf gegen die menschliche Natur zu verbinden. Dadurch hatten sie den Nimbus der Verbotspartei. Die Menschen fühlten sich von ihnen nicht verstanden. Ihr Kampf für die Natur ist beleumundet worden durch das Klima, den letzten Sommer, durch die Jugend.

Die Grünen haben aber auch menschliche Nähe und Bodenständigkeit durch ihr Führungspersonal erreicht. Man glaubt Habeck, dass er sein Kotelett grillt. Er ist ein Mensch. In den Anfangsjahren waren die Grünen schon einmal so lebensfroh, mit Sonnenblumen, Farben, Turnschuhen, jungen Frauen. Doch dann rutschten sie in die Askese ab, die das Leben nicht liebte.

WELT: Ist die Naturfrage wirklich das die Menschen aller Lager und Alter verbindende Thema?

Grünewald: Eine Gesellschaft braucht gemeinsame Visionen. Verbinden kann manchmal auch eine gemeinsame Angst. Wenn dadurch Innovation entsteht, wenn wir zusammenrücken, ist das gut.

[–]pimmelmafia 2 insightful - 1 fun2 insightful - 0 fun3 insightful - 1 fun -  (0 children)

Es gibt zwei Wege. Wir reduzieren radikal die Komplexität, lassen Lügen und Heilsideen zu und konfektionieren so die Welt. Trump wirkt authentisch, weil er mit Leidenschaft lügt, und das ist sexyer als jede Wahrheit, denn die ist oft komplex und langatmig. So wird der Totemismus wiederkehren und die Stammesgesellschaft. Was die AfD in ihrer Retrosehnsucht propagiert oder Houellebecq in der „Unterwerfung“ thematisiert. Es ist das schlichte klare Bild: Der Mann kann wieder dominieren, die Vielehe ist erlaubt, die Frauen sind weg aus der Arbeitswelt. Das wäre eine archaische Form der Orientierung, aber es wäre der Verlust unserer Kultur.

Haha, mal eben Trump, AfD, Vielehe und Arbeitsverbot für Frauen in den gleichen Absatz gepackt, damit der Eindruck entsteht die wollten das. Was für ein Wixxer. Typisch jüdisches Manipulationsgelaber.