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Islamismus: "Das Kopftuch ist das Signal" Die Politologin Nina Scholz und der Historiker Heiko Heinisch warnen in ihrem neuen Buch vor der Ausbreitung des Islamismus. Ein Gespräch über Strategien abseits des Terrors, über die Blindheit der Politik und über das Feindbild Muslime. Interview: Judith E. Innerhofer 20. März 2019, 16:44 Uhr Editiert am 27. März 2019, 10:03 Uhr ZEIT Österreich Nr. 13/2019, 21. März 2019 16 Kommentare Aus der ZEIT Nr. 13/2019 DIE ZEIT 13/2019 Islamismus: Der Bau des Islamischen Zentrums Wien wurde in den Siebzigerjahren vor allem von Saudi-Arabien finanziert. Heute engagiere sich gerade die Türkei in Österreich, sagt Heiko Heinisch, um "Einfluss auf hier lebende muslimische Communitys" zu nehmen. Der Bau des Islamischen Zentrums Wien wurde in den Siebzigerjahren vor allem von Saudi-Arabien finanziert. Heute engagiere sich gerade die Türkei in Österreich, sagt Heiko Heinisch, um "Einfluss auf hier lebende muslimische Communitys" zu nehmen. © Volker Preußer/imago

DIE ZEIT: Das Bild von Islamisten ist oft verbunden mit Terrorattentätern, Dschihadisten, IS-Kämpfern. Aus Ihrer Sicht verkennen wir aber die Bedrohung, die von legalistisch agierenden Islamisten ausgeht. Wenn es nicht die Bereitschaft zur Gewalt ist, was macht diese so gefährlich?

Heiko Heinisch: Sie verfolgen langfristig das gleiche Ziel. Es besteht in der Zerstörung der demokratischen und pluralistischen Gesellschaft. Der gewalttätige Islamismus ist nur die Spitze des Eisbergs einer Ideologie, die Staat und Gesellschaft nach islamischen Regeln transformieren will.

Nina Scholz: Islamisten träumen von einer unter einem Kalifat geeinten idealen islamischen Weltgemeinschaft. Der Islam wird nicht nur als spiritueller Rahmen betrachtet, sondern als politisch-religiöses Konzept, das alles und alle von Grund auf bestimmen soll.

ZEIT: Schon Ihr erster Satz im Buch lautet: "Wir haben ein Problem mit dem islamischen Mainstream." Sie meinen also, die große Mehrheit der Muslime ist heute islamistisch und radikalisiert?

Heinisch: Nicht die Mehrheit der Muslime, aber jene Organisationen, die vorgeben, sie zu vertreten, gehören durchwegs politisch-islamischen Strömungen an.

ZEIT: Ist das eine neuere Entwicklung?

Heinisch: Seit den Siebzigerjahren hat sich zunehmend eine islamistisch-puritanische Richtung durchgesetzt. Der Startschuss war die Revolution im schiitischen Iran. Von dort bezog auch der sunnitisch-islamistische Diskurs die Erfahrung, dass die Islamisierung von Staat und Gesellschaft gelingen kann.

Scholz: Gleichzeitig gerieten die säkularen Diktaturen in der arabischen Welt in die Kritik, weil sie keine Lösungen für die sozialen Probleme der Menschen anbieten konnten. Diese Lücke füllte die Muslimbruderschaft mit Wohltätigkeitsprogrammen, gleichzeitig propagierte sie die Parole: Der Islam ist die Lösung.

ZEIT: Sie warnen aber, dass islamistische Organisationen längst dabei seien, auch Europa zu unterwandern. Wie konnte es dazu kommen? DIE ZEIT 13/2019 Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 13/2019. Hier können Sie die gesamte Ausgabe lesen.

Scholz: Erste Proponenten des politischen Islams erhielten im Zuge der Verfolgung der Muslimbruderschaft in Ägypten Mitte der Fünfzigerjahre Asyl in Europa. Im Exil begannen sie mit dem Aufbau von Strukturen, die zunächst die Bewegung im Heimatland unterstützen sollten. Als größere muslimische Communitys entstanden, dehnten sie ihre Ambitionen auf Europa aus. Dabei wurden sie von Staaten wie Katar oder Saudi-Arabien mit viel Geld unterstützt.

ZEIT: Für seine Investitionen und dadurch Einflussnahme wird heute auch der türkische Präsident Erdoğan kritisiert.

Heinisch: Erdoğan betrachtet die türkische Community in Europa als seine fünfte Kolonne. Seit gut zehn Jahren investiert er massiv in den Bau von Schulen, Moscheen und nimmt über ihm ergebene Vereine Einfluss auf hier lebende muslimische Communitys.

Scholz: Zudem sind Politik und Medien in Westeuropa gewohnt, mit organisierten Strukturen zu kommunizieren, was den aus dem Ausland gesteuerten Islamverbänden in die Hände spielt. Sie konnten sich als Vertreter aller Muslime etablieren und den Diskurs dominieren.

ZEIT: Wer steuert da wen?

Scholz: Im Grunde werden alle großen Verbände in Deutschland wie in Österreich entweder von der türkischen, neo-osmanischen und islamistischen Millî-Görüş-Bewegung dominiert, von der Muslimbruderschaft, oder von dem staatlich türkischen Moscheeverband – in Österreich ATIB, in Deutschland DITIB –, der unter Erdoğan islamistisch ideologisiert wurde.

ZEIT: Diese verurteilen doch regelmäßig den IS und Terrorangriffe?

Scholz: Ja, aber sie haben sich nie vom politisch-theologischen Konzept des Dschihad distanziert. Gruppen wie der Liberal-Islamische Bund oder die Initiative Säkularer Muslime, die die theologischen Prämissen der Verbindung von Religion, Politik und Staat tatsächlich zurückweisen, sind bisher randständig.

ZEIT: Lässt sich abschätzen, wie viele Menschen hierzulande islamistisch gesinnt sind?

Scholz: Schwer. Wir können nur jene Organisationen identifizieren, die einen politischen Islam vertreten, und müssen feststellen, dass sie über den Großteil der Moscheen, über Kindergärten und Schulen verfügen.

ZEIT: Daraus lässt sich noch nicht auf die Gesinnung aller ihrer Mitglieder schließen.

Heinisch: Nein, aber wer diese Vereine frequentiert, in ihre Moscheen geht oder seine Kinder in den Koranunterricht schickt, läuft Gefahr, islamistischem Gedankengut ausgesetzt zu werden. "Wir werden Menschenrechte und Gleichberechtigung durchsetzen"

ZEIT: Nur ein Drittel der sich als gläubig bezeichnenden Musliminnen trägt in Österreich Kopftuch. Führen wir zuweilen nicht überzogene Debatten rund um den Islam?

Heinisch: Ich sehe es andersrum, gerade bei der Kopftuchdebatte. Diese wird der Gesellschaft von politisch-islamischen Organisationen aufgezwungen ...

Scholz: ... gerade von jenen, die sagen, den einen Islam gebe es nicht, er sei vielfältig. Wenn es ums Kopftuch geht, ist von dieser Vielfalt nichts mehr zu sehen. Durch das Lehrbuch für den islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, das die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) herausgibt, zieht sich etwa das gezeichnete Bild einer jungen Frau, die Tipps gibt. Sie trägt eine strenge, zweiteilige Kopfbedeckung. Ein anderes Vorbild wird nicht vermittelt.

ZEIT: Viele Musliminnen betonen dennoch, dass es sich um ihre freie Entscheidung handelt.

Heinisch: Selbstverständlich ist nicht jede Frau mit Kopftuch unterdrückt oder betreibt islamistische Propaganda. Aber das Kopftuch ist das Symbol, mit dem Islamisten von jeher Räume markieren. Wenn man sich die weltweite Entwicklung der letzten 40 Jahre ansieht, zeigt sich die Islamisierungsbewegung an nichts besser als an der Zunahme des Kopftuches im öffentlichen Raum. Das ist Teil der Strategie.

ZEIT: Wie läuft das ab?

Scholz: In Österreich hat die IGGÖ im Jahr 2017 die sogenannte Kopftuchfatwa erlassen. Die Verhüllung von Kopf, Nacken und Hals wird darin zur islamischen Pflicht erklärt. Und die IGGÖ ist in Österreich immerhin die gesetzlich anerkannte Vertretung der Muslime und als solche Ansprechpartner der Politik.

ZEIT: Ist die Politik blind?

Scholz: Sie hat oft keine hinreichende Vorstellung vom Phänomen politischer Islam. Analyse und Faktenwissen hinken den Ereignissen und der öffentlichen Debatte hinterher. Die Gefahr der islamistischen Infiltrierung von staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen wird unterschätzt, obwohl das Vorgehen der Islamisten, im Marsch durch die Institutionen Einfluss zu generieren, ein altbekanntes ist, das allen ideologischen Bewegungen eigen ist.

[–]tansim[S] 3 insightful - 1 fun3 insightful - 0 fun4 insightful - 1 fun -  (7 children)

ZEIT: Es müsste doch auffallen, wenn sich Islamisten in Österreich außerhalb der religiösen Sphäre irgendwo einschleusen?

Heinisch: Sie sagen ja nicht offen: Ich verfolge eine islamistische Agenda. Sie engagieren sich auf lokaler oder nationaler Ebene und verfolgen parallel dazu ihre religiös-politischen Ziele. Politische Parteien wiederum wollen mit Migranten gesellschaftliche Diversität abbilden und neue Wählerschichten erschließen. Nehmen Sie zum Beispiel die Brüder Arikan in Oberösterreich, die beide in der islamistischen Saadet Partisi der Millî-Görüş-Bewegung aktiv sind. Einer hat sich über Jahre in der SPÖ engagiert, der andere in der ÖVP, bis sie nach Zeitungsberichten beide ausgeschlossen wurden. Zugleich setzen Organisationen des politischen Islams auf Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen.

ZEIT: Mit wem?

Scholz: Mit renommierten NGOs. Wer mit Amnesty International oder der Caritas zusammenarbeitet, wertet sein Ansehen auf.

ZEIT: Sie kritisieren Blindheit gerade auch von linker und liberaler Seite. Können Sie dennoch verstehen, dass manche Angst haben, mit Kritik Zündstoff für rechte Agitatoren zu liefern, gar für rechtsextreme Terroristen wie jenen in Christchurch?

Heinisch: Verstehen kann ich das, aber ich halte es für falsch. Von einer Tabuisierung von Problemen profitiert am Ende stets nur der Tabubrecher. Im Bereich Migration und Islam agieren seit Jahren die Parteien der Rechten als Tabubrecher. Gerade dadurch konnten sie pauschalisieren und teilweise auch Hass schüren.

ZEIT: Keine andere Einwanderungsgruppe wird so sehr über Religion definiert wie Muslime. Woher kommt das?

Heinisch: Erst seit 9/11 wird die Debatte von den Begriffen Islam und Muslime dominiert. Islamisten setzten aber schon immer auf eine identitäre Politik, auf das Muslim-Sein als primäre Identität in Abgrenzung zu allen anderen. Das wurde leider zur allgemeinen Sicht auf Einwanderer aus islamischen Ländern und deren Nachkommen. Für die Rechte entstand ein einfach benennbares Feindbild.

ZEIT: Trotz dieses Feindbildes sagen Sie: Es sei wissenschaftlicher Unfug, von Islamophobie zu sprechen. Wieso? Wir reden ja auch von Homophobie oder von Xenophobie.

Heinisch: Der Knackpunkt ist weniger der Begriff, obwohl ich die Kombination mit einem Krankheitsbild für nicht geeignet halte, um soziale Mechanismen zu benennen. Das Problem an diesem Begriff ist, dass mit ihm zwei unterschiedliche Phänomene erfasst werden sollen: die Diskriminierung und Feindschaft gegenüber Muslimen und die Kritik an der Religion.

Scholz: Religionskritik, die wir seit der Aufklärung kennen, wird plötzlich im Zusammenhang mit dem Islam als islamophob verurteilt. Islamistische Organisationen verwenden den Begriff, um Kritik zu verhindern und die Religion an sich unter Schutz zu stellen. Die internationale Organisation für Islamische Zusammenarbeit fordert den Westen auf, Islamophobie – gemeint sind damit abwertende Aussagen gegenüber den Islam – unter Strafe zu stellen.

ZEIT: Wie lässt sich eine Ausbreitung des politischen Islams verhindern? Braucht es eine Art von Wertekursen, wie das die österreichische Regierung bei Flüchtlingen versucht hat?

Scholz: Eine schwierige Frage. Die Demokratie ist keine Umerziehungsanstalt. Man kann Menschen etwas anbieten, aber es wäre eine Illusion zu glauben, alle würden der Strahlkraft von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten erliegen. Manche haben eine andere Vorstellung vom guten und richtigen Leben. Es ist anmaßend, andere Ansichten für bloß vorübergehende Erscheinungen zu halten. Wir müssen Menschen mit ihren Vorstellungen ernst nehmen. Deshalb braucht es auch eine offene Debatte. Und klare politische Ansagen.

ZEIT: Im Sinne von Verboten?

Scholz: Auch das. Es gibt beispielsweise seit 2011 in Deutschland und seit 2016 in Österreich ein Gesetz gegen Zwangsverheiratung. Es beinhaltet auch ein Rückkehrrecht für ins Ausland verheiratete Mädchen und Frauen, das schon vielen geholfen hat. Aber es geht auch darum, Bedingungen klar zu vermitteln: Wir werden nicht Dinge neu verhandeln, die längst ausverhandelt sind, und wir werden Menschenrechte und Gleichberechtigung durchsetzen.

Nina Scholz, Heiko Heinisch: Alles für Allah. Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert. Molden Verlag 2019, 160 S., 20 Euro

[–]spmasp 2 insightful - 1 fun2 insightful - 0 fun3 insightful - 1 fun -  (6 children)

Warum kopierst du den Artikel hier rein? Er ist doch hinter keinem Paywall versteckt. Willst du verhindern, dass die Zeit für dieses Interview Klickzahlen/Aufmerksamkeit/Werbeeinnahmen bekommt? Wenn ja: warum?

[–]tansim[S] 5 insightful - 1 fun5 insightful - 0 fun6 insightful - 1 fun -  (0 children)

Nee, aber Zeit hat die Angewohnheit dass sie interessante Artikel nach x Stunden mit paywall versehen.

[–]papiersackratte 3 insightful - 1 fun3 insightful - 0 fun4 insightful - 1 fun -  (0 children)

Ich glaube einfach /u/tansim liest einfach zu viel Zeit, deswegen erscheint ihm die Paywall, denke ich mal.

[–]pimmelmafia 1 insightful - 1 fun1 insightful - 0 fun2 insightful - 1 fun -  (3 children)

Du warst doch lange genug auf ede und weisst daher auch ganz genau, dass die Systemmedien sehr, sehr oft Artikel nach einer kurzen gratis Anfangsphase hinter der paywall verstecken. Hatten wir uns auf ede schon angewöhnt deren Artikel in den comments zu posten und sollten wir hier auch so halten.

[–]papiersackratte 2 insightful - 1 fun2 insightful - 0 fun3 insightful - 1 fun -  (0 children)

Wäre im Prinzip egal, wenn man den Artikel auch bei archive.fo abrufen könnte. Bei dem ist es eben nicht der Fall, daher ist eine zweite Kopie hier durchaus praktisch. e: aber ich hätte nichts dagegen so, wie auf ede es zu halten. Sollte halt entweder archive.fo oder der Text in den Kommentaren sein. Aber halt eher als freiwillige Selbstverpflichtung.

[–]spmasp 1 insightful - 1 fun1 insightful - 0 fun2 insightful - 1 fun -  (1 child)

Du [...] weisst [...] ganz genau, dass die Systemmedien sehr, sehr oft Artikel nach einer kurzen gratis Anfangsphase hinter der paywall verstecken.

Nee, das wusste ich nicht. Ist mir persönlich noch nie passiert oder ich erinnere mich gerade nicht daran. Aber ich lese die Zeit auch nicht, daran kann das natürlich liegen.

[–]pimmelmafia 1 insightful - 1 fun1 insightful - 0 fun2 insightful - 1 fun -  (0 children)

War eigentlich eine Binse auf Ede aber ok, ich glaub dir dieses eine Mal :D