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** Im Gebüsch**

Ministerpräsident Kretschmann sprach nach einer mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung von »Männerhorden«. Doch der Fall ist komplizierter.

An einem Samstagabend im Oktober wollen zwei junge Frauen feiern gehen. Sie trinken Desperados und Pfefferminzlikör, dann machen sie sich auf den Weg zur Technoparty »Umsonst & Drinnen«. In dem Klub in einem Freiburger Industriegebiet sprechen zwei Männer sie an. Einer der beiden bietet ihnen angebliche Ecstasy-Pillen an. Die Frauen bezahlen, beide nehmen eine.

Eine der Frauen, 18 Jahre alt, kommt mit dem zweiten Mann ins Gespräch. Er gibt ihr einen Longdrink aus, sie interessiert sich für seine Tattoos auf Arm und Schulter. Er habe auch eines auf dem Oberschenkel, sagt er. Ob sie das anschauen wolle. Die Frau willigt ein. Gemeinsam gehen sie 50 Meter zu einem Wäldchen. Zwischen den Sträuchern lässt der Mann, 22, seine Hose herunter.

Etwa zwölf Stunden später erstattet die Frau eine Anzeige. Sie habe das Gebüsch verlassen wollen, aber der Mann habe sie festgehalten. Er habe sie zu Boden gestoßen, ihren Rock hochgeschoben, die Strumpfhose und den Slip heruntergerissen und sie vergewaltigt.

Die Polizei ermittelt und kommt zu dem Schluss: Der Mann sei in den Klub zurückgekehrt und habe einigen Männern erzählt, dass in dem Wäldchen eine Frau liege, die Sex wolle. Mehrere Männer hätten daraufhin die Frau vergewaltigt. In den Wochen danach nehmen die Ermittler zehn Verdächtige fest, neun Flüchtlinge und einen Deutschen. Ein elfter wird noch gesucht.

Der Fall erschüttert die Republik. Ausgerechnet Freiburg, die Stadt, die zwei Jahre zuvor durch den Mordfall Maria L. aufgeschreckt wurde. Erneut ein Gewaltverbrechen durch Asylsuchende, so scheint es. Die AfD marschiert im Zentrum auf. Die Regionalzeitung macht eine Straßenumfrage: »Wie sicher fühlen Sie sich in Freiburg?« Und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) spricht von »Männerhorden«, die man »in die Pampa« schicken müsse.

Auch deshalb, weil der Kriminalfall in diesen Zeiten, in dieser Stadt plötzlich eine politische Dimension bekam, ist es interessant, was die weiteren Ermittlungen ergeben haben: Der Fall ist komplizierter als gedacht.

Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt, dass jeder, der im Gebüsch war, die 18-Jährige vergewaltigt hat, oralen oder vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr hatte. Und dass sie unter dem Einfluss von K.o.-Tropfen stand, die der Hauptverdächtige in den Longdrink gemischt habe. Aber was genau passierte wirklich in dieser Nacht?

Gesichert ist, dass die Frau Ecstasy genommen hat, angeblich erstmals in ihrem Leben. Zwischen 0.30 und etwa 3 Uhr habe sie die Geschehnisse nur schemenhaft wahrgenommen, sagte sie aus. Die Polizei konnte Spermaspuren von drei Tatverdächtigen zuordnen, die Frau identifizierte zwei weitere Männer.

Ihr Martyrium habe damit begonnen, dass der 22-Jährige sie vergewaltigt habe; er bestreitet dies, der Sex sei vielmehr einvernehmlich gewesen. Die 18-Jährige sagt, sie habe sich in diesem Moment in einer Art Schockstarre befunden. Sie wisse nicht, wie viele Männer sich danach an ihr vergingen, zwischen 10 und 15 könnten es gewesen sein.

Kurz nach 3 Uhr habe der zweite von ihr identifizierte Mann, ein 21-jähriger Syrer, das Gebüsch betreten, erst da sei sie zu sich gekommen. Er habe sie angeschrien, sie solle sich anziehen und mitkommen. Dann seien sie gemeinsam zu einem Parkplatz in der Nähe gelaufen.

Die beiden kannten einander nicht, er habe ihre Hand gehalten und sie umarmt, sagt die Frau. Das sei alles freundschaftlich gewesen. Sie habe sich von ihm beschützt gefühlt. Gegenüber der Polizei sagte sie zunächst, dass er nicht zu den Tatverdächtigen gehöre. Später war sie sich nicht mehr sicher.

Seit Ende Oktober sitzt der Syrer in Untersuchungshaft. Er habe der 18-Jährigen helfen wollen und sie aus der Situation befreit, sagt sein Verteidiger Jan Georg Wennekers. Er spricht von »Ergebnisdruck«, unter dem die Polizei stehe: Die mediale Aufmerksamkeit und die emotionale Debatte hätten die Ermittlungen geprägt.

Offenbar war sein Mandant zweimal im Gebüsch. Der 21-Jährige sagt, er habe die Situation beim ersten Mal merkwürdig gefunden; die Frau sei enthemmt gewesen, ihr Verhalten habe ihn irritiert. Auch andere Verdächtige sagen, es habe sie ein ungutes Gefühl beschlichen. Manche hätten trotzdem Sex mit ihr gehabt, andere wollen das Wäldchen umgehend verlassen haben. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass auch diese Männer Geschlechtsverkehr mit ihr hatten.

Der 21-Jährige und die 18-Jährige saßen auf dem Parkplatz noch eine Weile zusammen. Weil er einen Freund anrief, dessen Handy überwacht wurde, wurde teilweise auch mitgeschnitten, was er und die Frau sagten. Demnach war sie verzweifelt, klagte über Nackenschmerzen. Er fragte, ob sie ihn küssen wolle. Sie lehnte ab.

Wenig später kam ihre Freundin dazu. Am frühen Morgen entschieden sie, den Syrer in seine Unterkunft zu begleiten. Alle drei berichteten übereinstimmend: Die Frau schlief dann gemeinsam mit ihrer Freundin im Bett, er auf dem Fußboden. Gegen 10 Uhr verließen die Frauen das Zimmer und fuhren mit dem Zug in ihren Heimatort nahe Freiburg. Dort erstattete die 18-Jährige am Mittag die Anzeige.

Vor zwei Wochen wurde gegen den mutmaßlichen Haupttäter und einen weiteren Verdächtigen Anklage wegen Vergewaltigung und unterlassener Hilfeleistung erhoben. Nun soll auch den anderen acht Männern wegen derselben Vorwürfe der Prozess gemacht werden.